«Mit einer Perspektive kann man sich auf die Leistung fokussieren»

«Mit einer Perspektive kann man sich auf die Leistung fokussieren»

Artikel - «Mit einer Perspektive kann man sich auf die Leistung fokussieren»

Franz Fischer war 22 Jahre lang der «Mister Spitzensport-RS». 779 Spitzensportler, darunter 88 Frauen, hat er in seiner Zeit beim BASPO für die Spitzensport-RS selektioniert. Ende April geht er in Pension. Von Ruhestand fehlt aber jede Spur.

Neu widmet sich Franz Fischer bei SWISS ROWING seinem grössten Anliegen. Er wird die Kaderruderinnen und -ruderer künftig bei ihrer ganzheitlichen, langfristigen Karriereplanung (kurz KAPLA) unterstützen und begleiten. Die perfekte Aufgabe für einen Mann wie Franz, der den Rudersport ausgezeichnet kennt und in der Schweiz jahrelang die Professionalisierung des Spitzensports vorangetrieben und geprägt hat. Das grosse Interview mit SRV-Ehrenmitglied Franz Fischer.

Franz Fischer, wieso reizt Dich der Einsatz für die KAPLA? 

Im Alter zwischen 16 und 25 Jahren hat die Karriereplanung für jeden ambitionierten Sportler/-in eine zentrale Bedeutung. Aus sportlicher Perspektive, aber eben auch in der Frage, was nach der Sportkarriere kommen soll und kann. Jahrelang führte ich im BASPO die Selektionsgespräche mit den Anwärtern der Spitzensport-RS. Es kristallisierten sich über die Jahre und über die Sportarten hinweg bestimmte Bedürfnisse heraus, die in vielen Verbänden nicht erkannt und aufgefangen wurden und werden.  

Was ist Dein Ziel?

Mein Ziel ist es, mich bei SWISS ROWING in erster Linie um die Menschen im Ruderkader zu kümmern. Denn es ist der Mensch, der die Leistung als Ruderer erbringt. Es braucht für den Menschen einen weitreichenden Plan und einen umsetzbaren Weg. Manchmal muss man gewisse Meilensteine anpassen, aber der Weg sollte stets vor Augen bleiben. Erst wenn die längerfristige Perspektive klar ist, kann sich der Mensch zu 100% auf die sportliche Leistung fokussieren. Ich sehe meine Rolle am ehesten als die eines «Life Coaches». Dass ich dieses Herzensprojekt nun mit dem Ruderverband angehen kann, macht mich glücklich. SWISS ROWING nimmt dabei eine positive Vorreiterrolle ein.

Wie kam diese Aufgabe zustande?

Mit Verbandsdirektor Christian Stofer verbindet mich eine lange Geschichte. Zudem waren wir in meiner Zeit beim BASPO immer wieder im Kontakt wegen den zahlreichen Ruderinnen und Ruderern in der Spitzensport-RS. Wir sahen uns auch immer wieder an Ruderwettkämpfen, die ich gerne besuche. Christian kam auf mich zu und sagte, dass sich der Ruderverband noch intensiver der langfristigen Karriereplanung seines Kaders widmen möchte. Ich war sofort Feuer und Flamme. KAPLA ist genau mein Thema. 

Welche Geschichte verbindet Dich denn mit Christian Stofer? 

Da muss ich kurz ausholen. 1994 holte der Schweizer Junioren-Achter in München den Weltmeistertitel. Ich war damals SRV-Nachwuchschef. In diesem Boot ruderte unter anderem Christian Stofer. Die restliche Besatzung bestand aus Lukas von Bidder (BRC), Florian Ramp (SCZ), Björn Uhlmann (Blauweiss Basel), Alexander Brupbacher (SC Wädenswil), Thomas Bauer (GC), Tobias Beyer (SCZ) und Jürg Habermayr (SC Thun). Trainer waren Marty Aitken und Hampi Bürge. Walter „Zöri“ Zürcher war Team Manager. Bei unserem ersten Zusammenzug in Sarnen hatten wir den Psychologen Beat Schori dabei. Er fragte in die versammelte Gruppe: «Was wollt Ihr eigentlich?» Es herrschte betretenes Schweigen. Dann meldete sich Thomas Bauer und sagte: «Ich will an die Junioren-WM in München und dort Gold gewinnen.» Danach ging ein Ruck durch diese junge Mannschaft mit dem bekannten Resultat: WM-Gold. Ein klarer Blick, ein umsetzbarer Weg und eine Perspektive sind wichtige Puzzleteile zum Erfolg. Das erlebte Christian Stofer in diesem Junioren- Achter. Ich will mit KAPLA ein Zeichen setzen, damit der Ruderverband kontinuierlich und langfristig Erfolg hat. 

Wie kamst Du zum Rudersport?

Ich komme aus Sursee und besuchte dort die Kantonsschule, wo ich die mathematische und naturwissenschaftliche Matura machte. Was mich heute noch erstaunt, denn mit Mathematik hatte ich damals wie heute denkbar wenig am Hut. In den Sommerferien arbeitete ich immer im Hotel / Metzgerei meines Onkels und Tante in Neuhausen am Rheinfall. Mein Cousin Heini Fischer (Silber, Olympische Spiele München 1972) ruderte beim RC Schaffhausen. Das fand ich spannend. Beim SC Sursee sass ich dann das erste Mal in einem alten schweren Plastikskiff namens «Isabelle». Das war so um 1968 herum. Immerhin schaffte ich es mit etwa 20 Jahren im Doppelzweier zum Schweizer Meistertitel bei den Senioren-B. An der ETH Zürich absolvierte ich das Studium als Turn- und Sportlehrer, brachte aber leider Rudern und Studium schlecht unter einen Hut. Darum engagierte ich mich ab 1974 beim SC Sursee als Trainer. Von 1978 bis 1998 arbeitete ich im Übrigen stets im Teilpensum als Turn- und Sportlehrer an der Kantonsschule Schaffhausen. Beim SRV war ich von 1980 bis 1984 Kaderchef Junioren. Dann trat ich zurück. Von 1986 bis 1989 stand ich in der Rudersektion von GC als Trainer im Teilpensum im Einsatz, und dann ab 1989 bis 2000 wieder beim SRV. Acht Jahre lange war ich zuständig für die Junioren, von 1997 bis 2000 für die U23.

Dann kam der Wechsel zum BASPO?

Es war fast schon ein natürlicher Schritt. Am BASPO konnte ich den jungen Sporttalenten mittels Spitzensport-RS den Weg in die Professionalisierung ebnen. Zuerst lag der Fokus alleine auf der RS. Das war mir aber noch zu wenig nachhaltig. Mit den zusätzlichen WK-Tagen kamen wir einen weiteren Schritt vorwärts. Zudem freut es mich, dass verschiedene meiner eingeführten Gefässe auf grossen Anklang stiessen: die Medienschulung, der Englischunterricht mit dem Abschluss First / Advanced, die Sponsoring-Ausbildung und nicht zuletzt die Veranstaltungen zur mentalen Stärke. 

Auch viele Ruderinnen und Ruderer profitieren von der Spitzensport-RS?

Der Anfang machte 2005 Mario Gyr. Vier Jahre später absolvierten aus dem Olympiagoldvierer auch Lucas Tramèr und Simon Schürch die Spitzensport-RS. 2012 waren unter anderem Augustin Maillefer, Nico Stahlberg, Michael Schmid und Barnabé Delarze in Magglingen. 2014 besuchten Jeannine Gmelin, Roman Röösli, Markus Kessler und Fiorin Rüedi die Spitzensport-RS. So setzt sich das fort: 2016 Joel Schürch, Nicolas Kamber, Pascale Walker, Andri Struzina und Julian Müller. 2018 waren es nochmals sechs und 2020 werden es sieben Ruderinnen und Ruderer in der Spitzensport-RS sein, die das Potenzial haben, sich einen Startplatz an den Olympischen Spielen 2024 in Paris zu erkämpfen. 

Zurück zur KAPLA. Dieses Interview werden auch junge Rudertalente lesen. Was müssen sie am Anfang der Sportkarriere richtig machen, wenn sie den Spitzensportweg einschlagen möchten?

Junge Talente sollen sich bewusst gewisse Fragen stellen: Was will ich wirklich? Weiss ich, was das für mich genau bedeutet? Will ich das wirklich langfristig über mehrere Jahre hinweg tun? Wie kann ich meine Karriereplanung gestalten? Bin ich bereit dual zu verfahren?

Und was müssen die Ruderinnen und Ruderer während ihrer Sportlerlaufbahn tun, um nach ihrer Sportkarriere erneut ein spannendes Leben zu finden?

Wichtig ist, dass sich jeder frühzeitig Gedanken macht. Auch hier gilt es Fragen zu beantworten: Welche Stärken zeichnen mich aus? Was sind meine Leidenschaften? Was will ich im «neuen Leben» erreichen? Wann könnte ich zumindest in Sequenzen damit starten respektive daran schnuppern? Am Start der Sportkarriere, in deren Mitte und im Übergang zum nächsten Lebensabschnitt kommt mein Engagement zur KAPLA zum Tragen. 

Wann startest Du bei SWISS ROWING?

Ich habe bereits begonnen (lacht)! Ich besuchte das Olympia-Team während des Trainingslagers in Gavirate (5.-22.2.). Dort hatte ich die Gelegenheit, mit jedem der 16 Kadermitglieder ein langes Gespräch zu führen. Damals gingen wir noch davon aus, dass die Olympischen Spiele im Sommer 2020 stattfinden würden. Nach der Verschiebung um ein Jahr werde ich erneut Gespräche führen, denn bei einigen Kadermitgliedern ergeben sich nun neue Fragen zur Zukunft. Es ist eine spannende Aufgabe, diese ausserordentlichen Leistungsträgerinnen und -träger zu beraten, damit sie den Weg in ihr neues Leben und ihren Beruf finden.

Palmares Franz Fischer:
2020 -             «Life Coach KAPLA», SWISS ROWING
1999 – 2020    Leiter Bereich Sport des Spitzensport-RS Lehrgangs, BASPO
1993 – 2001    Leiter Trainerfortbildung, Swiss Olympic
1989 – 2000    J+S Fachleiter Rudern
1997 – 2000     Kaderchef U23, SRV
1989 – 1997    Kaderchef Junioren, SRV
1986 – 1989     Rudertrainer im Teilpensum, Grasshopper Club Zürich Rudersektion
Seit 1982         regelmässige Trainerfortbildungen im In- und Ausland
1980 – 1984    Kaderchef Junioren, SRV
1978 – 1998    Turn- und Sportlehrer im Teilpensum an der Kantonsschule Schaffhausen
1974 – 1979    Trainer beim SC Sursee

Das Interview mit Franz Fischer führte Jolanda van de Graaf. 

Fotolegende: Franz Fischer nahm Bundesrat Ueli Maurer anlässlich seines Wechsels vom VBS ins Finanzdepartement zusammen mit IOC-Mitglied und SRV-Ehrenmitglied Denis Oswald für eine Ausfahrt mit ins Ruderboot. 

27. April 2020/vdg