Kunst, das Wechselspiel zwischen Aktivität und Passivität zu meistern

Kunst, das Wechselspiel zwischen Aktivität und Passivität zu meistern

Artikel - Kunst, das Wechselspiel zwischen Aktivität und Passivität zu meistern

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Jeannine Gmelin qualifizierte sich am Montag im Einer direkt für den WM-Halbfinal vom Freitag, was ihr in Plovdiv drei rennfreie Tage bescherte. Wir haben uns kurz mit ihr über das lange Warten unterhalten.

Jeannine Gmelin, direkt nach dem Rennen hast Du gesagt, dass Du die Zeit bis zum Halbfinal nun gut strukturieren müsstest. Wie sieht nun ein strukturierter Tag bei Dir aus?
Die beschränkten Trainingszeiten auf der Regattabahn geben schon mal eine bestimmte Struktur vor. Denn wir können ja nur dann trainieren, wenn keine Rennen stattfinden. Dann aber rudern alle gleichzeitig auf derselben Strecke. Das kann zeitweise schon ein wenig eng werden und setzt gute Planung voraus. Der Rest ist eine Art Wechselspiel zwischen einer gewissen Aktivität, die mich nicht ermüden und Passivität, die mich aber nicht vom Wettkampffeeling abbringen sollte. Das ist nicht immer einfach.

Mit was lenkst Du Dich ab?
Man sollte nicht ständig an die Rennen oder ans Rudern denken. Lesen hilft. Ab und zu schaue ich einen 08/15-Hollywoodfilm, bei dem man nicht allzu viel studieren muss. 

Was liest Du im Moment?
Ich lese in Englisch das ursprünglich auf Deutsch geschriebene Buch von Viktor Frankl mit dem Titel «Man’s Search for Meaning». Es geht kurz umschrieben um die Auswirkungen von Konzentrationslagern auf die menschliche Psyche. Kein einfacher Stoff. Aber wie sich Menschen verhalten und die menschliche Psyche an und für sich faszinieren mich. 

Am Dienstag nahmst Du Dir Zeit für einen Besuch in der antiken Altstadt von Plovdiv. Wie war es?
Überrascht war ich von den vielen Leuten. An einem normalen Dienstagnachmittag war die Altstadt voll. Die Sehenswürdigkeiten liess ich beiseite, denn ich wollte nicht allzu lange auf den Beinen sein. Ich machte mich zielstrebig auf die Suche nach einem guten Café - und wurde fündig! 

Ist dieser kurze Stadtbummel die grosse Ausnahme, oder gehst Du an Deinen internationalen Renneinsätzen üblicherweise auf Erkundungstour?
Das kommt natürlich immer darauf an, wie meine Renntage liegen. Letztes Jahr in Florida hatte ich ebenfalls Zeit, um etwas für mich zu unternehmen. Ich finde es immer schön, wenn ich wenigstens ein wenig von der Gegend sehe. Ich würde es nicht aushalten, diese lange Rennpause nur im Hotel und auf der Regattastrecke zu verbringen. Die lange Pause hier in Plovdiv ist übrigens darum ungewöhnlich, weil es keinen Viertelfinal gibt.

Wie intensiv verfolgst Du die WM?
Im Anfangsstadium verfolge ich vor allem die Rennen meiner Schweizer Teamkolleginnen und -kollegen. Je näher ich den Finals komme, desto mehr verfolge ich auch andere Bootsklassen. Weil der Frauenskiff stets eines der letzten Rennen ist, ist dies aber gar nicht so einfach. Ich muss mich ja auf mein eigenes Rennen konzentrieren. Dabei würde ich gerne beispielsweise den Männereiner oder den Achter verfolgen, welche aber genau vor oder nach mir stattfinden. Ich schaue deren Rennen dann jeweils später noch als Videoclips nach. 

Mit einer Deiner wohl härtesten Konkurrentinnen im Einer, Carling Zeeman aus Kanada, bist Du gut befreundet. Geht Ihr Euch an der WM eher aus dem Weg?
Überhaupt nicht. Wir sahen uns am Sonntagmorgen zum ersten Mal seit dem letzten Weltcup wieder und tranken einen Kaffee zusammen. Wir wünschen uns gegenseitig den grössten Erfolg. Klar, wenn es hart auf hart geht, will jede gewinnen. Aber da wir zum Beispiel am Montag in unterschiedlichen Vorläufen zugelost waren, klatschten wir uns am Morgen noch kurz Faust gegen Faust ab und wünschten uns viel Glück. Wir waren gemeinsam in den Ferien und kennen uns wirklich sehr gut. Die Basis unserer Freundschaft ist Respekt für einander, daher wäre es nicht normal, wenn wir uns hier aus dem Weg gehen würden. 

Wie ist das Verhältnis mit den anderen Konkurrentinnen im Frauenskiff?
Der Kontakt ist unterschiedlich. Grösstenteils beschränkt er sich allerdings auf ein Grüssen, wenn man sich über den Weg läuft. Einen näheren Kontakt oder Austausch gibt es da aber nicht wirklich, bis die WM vorbei ist.

Das Interview mit Jeannine Gmelin führte Jolanda van de Graaf.