„Die Exit-Strategie Sport ist in Arbeit – alle brauchen noch Geduld"

„Die Exit-Strategie Sport ist in Arbeit – alle brauchen noch Geduld"

Artikel - „Die Exit-Strategie Sport ist in Arbeit – alle brauchen noch Geduld"

Teaserbild Ruderzentrum Sarnen
Der Bundesrat hat am 16.04.20 sein Phasenmodell für die ersten Lockerungen vorgestellt. Gross waren die Hoffnungen, dass nebst Laufen und Velofahren bald andere Sportarten erlaubt sein würden. Es kam anders. Wir haben uns bei Verbandsdirektor Christian Stofer erkundigt.
Christian Stofer

Christian Stofer, was war die erste Reaktion beim Verband SWISS ROWING, als der Bundesrat keine Lockerungen für den Sport, und den Rudersport im Besonderen, bekanntgab? 

Christian Stofer: Wir hatten in den letzten Wochen über unsere Kanäle bei Swiss Olympic, Bundesamt für Sport BASPO und unserem Regionenvertreter der Konferenz der kantonalen Sportämter unsere Anliegen für eine baldige Öffnung des Rudersports mehrfach eingebracht. Als in der Osterzeit die Zahl der Neuinfizierten kontinuierlich sank, das Wetter perfekt war für Outdoor-Sport, der Bundesrat noch vor Ostern ankündigte, erste Lockerungen vorzubereiten, waren die Hoffnungen der Ruderinnen und Ruderer spürbar anhand der eingegangenen E-Mails, Anfragen und Telefonaten.  Ich erhielt kurz vor der bundesrätlichen Pressekonferenz einen Anruf und war vorbereitet, dass der Sport nicht in die erste Phase der Lockerungen gehören wird. Dennoch war da eine gewisse Enttäuschung vorhanden, dass der Sport an der Pressekonferenz kein Thema war und erst bei einzelnen Fragen von Journalisten angesprochen wurde. 

Bedeutet das, dass der Sport in der aktuellen Phase nicht wichtig ist?

So weit würde ich nicht gehen. Vielleicht waren einfach auch die Erwartungen zu hoch und unrealistisch. Der Bundesrat ist durchaus orientiert über die Situation des Sports. Was nämlich an der Pressekonferenz des Bundesrates nicht erwähnt wurde: Der Bundesrat hat am 16. April dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) den Auftrag erteilt, eine Exit-Strategie Sport zu erarbeiten. Federführend ist das Bundesamt für Sport BASPO. Bereits am 17. April hat ein entsprechendes Briefing durch Swiss Olympic und das Bundesamt für Sport an die Verbände und weitere Involvierte stattgefunden. SWISS ROWING ist in diesen Prozess eingebunden und wird im Rahmen der Möglichkeiten konstruktiv mitarbeiten und die Anliegen des Rudersports einbringen, so dass baldmöglichst wieder erste Ruderausfahrten auf den Schweizer Gewässern erlaubt sein werden. 

Aber einen konkreten Zeitplan oder ein Datum, wann die Bootshäuser wieder öffnen können, gibt es immer noch nicht, oder?

Das ist in der Tat so. Viele Outdoor-Sportarten, so auch der Rudersport, haben den Anspruch, dass sie bei der Verbreitung des Coronavirus nicht per se ein Problem darstellen, wenn man beispielsweise an Ruderausfahrten im Skiff denkt. Solange jedoch die Massnahmen-Verordnung des Bundesrates nicht in den zentralen Punkten (Vereinsaktivitäten verboten, Sportzentren geschlossen halten, Versammlungsverbot von nicht mehr als 5 Personen) geändert wird, so bedeutet dies auch, dass keine Ruderausfahrten erlaubt sind. Diese Änderung muss nun durch den Sport sauber vorbereitet werden, inklusive den Schutzkonzepten, welche bei allen Lockerungsmassnahmen verlangt werden, damit der Bundesrat letztlich dann auch entsprechende Beschlüsse fällen kann und die „Lücken“ in der Verordnung, die aus Sicht des Sports bestehen, schliessen kann.   

Das tönt aber nach einem etwas gemächlichen Tempo. Kann das nicht beschleunigt werden?

Wie bereits gesagt, hat der Bundesrat dem BASPO am letzten Donnerstag einen Auftrag erteilt. Er wird sich also auf den Ergebnissen, die aus diesem Auftrag resultieren, abstützen wollen. Es wird nun mit Hochdruck daran gearbeitet. Danach folgt der politische Konsultationsprozess und der Bundesrat wird den Beschluss fassen. Wie gut die Arbeiten in dieser Woche vorankommen, wird also mitentscheidend sein, ob und ab wann es Lockerungen für den Sport geben wird.

Würde es nicht helfen, wenn der Bundesrat einfach ein fixes Datum festlegen würde wie er das für die Coiffeurgeschäfte nun auch gemacht hat?

Kurzfristig gesehen, wäre das vielleicht hilfreich, um die Erwartungen der Sportlerinnen und Sportler zu managen, aber die gesamte Komplexität ist einfach zu hoch, als dass man einen solchen „Fixpunkt“ einfach so festlegen könnte. Der Bundesrat stützt seine Lockerungsstrategie auf sein festgelegtes Indikatorenset ab (z.B. Anzahl Neuinfektionen pro Tag, Anzahl hospitalisierte Personen, Anzahl Todesfälle etc.) und beobachtet auch den Verlauf dieser Kennzahlen. In diesem Sinne hat sich der Bundesrat auch vorbehalten, Anpassungen vorzunehmen. Aus diesem Grund handelt der Bundesrat wohl auch nach dem Motto „So rasch wie möglich Lockerungen erlauben, aber so langsam wie notwendig.“

Der Bundesrat hatte auch gesagt, dass er sich mit dem Thema (Sport-)Veranstaltungen an einer der nächsten Sitzungen auseinandersetzen wird. Was heisst das für die Regatten?

Das wissen wir momentan noch nicht. Was wir wissen ist, dass wir jetzt zuerst dafür arbeiten, dass überhaupt wieder sportartspezifisch trainiert werden kann. Die Clubs müssen vor einer Regatta auch zuerst wieder sinnvoll trainieren können. Auch wissen wir momentan noch nicht, welche Schutzkonzepte an Ruderregatten gelten sollen und ob das unsere Veranstalter so auch umsetzen und durchführen könnten. Wir haben uns von Anfang an so positioniert, dass wir unsere Regattaveranstalter nicht einem wirtschaftlichen Risiko aussetzen möchten, da wir auch künftig auf sie zählen wollen. Weiter hat sich SWISS ROWING auch immer dafür stark gemacht, in diesem Jahr eine Schweizer Meisterschaft durchführen zu können. 

Ist es denn nicht einfach so, dass zuerst sowieso die grossen Publikumssportarten bedient werden und dann die kleineren Sportarten?

Das glaube ich nicht. Es wird eine Gesamtbetrachtung gewünscht und auch gemacht, in welche alle Sportarten eingebunden sind. Das Kriterium für Lockerungen ist ja nicht die Grösse oder die Attraktivität einer Sportart, sondern wie eine Sportart die Übertragbarkeit des Coronavirus begünstigen würde. Da sind Sportarten, welche die Distanzregeln einhalten können oder in der Natur durchgeführt werden können, sicher weniger verdächtig als Sportarten, bei denen es naturgemäss regelmässig zu Kontakten kommt. 

Wenn nicht trainiert werden kann, entfallen ja für die Vereine auch wesentliche Einnahmen aus dem Programm Jugend + Sport. Weiss man hier schon, wie diese Ausfälle aufgefangen werden können. 

Die Subventionierung ist nur für Angebote möglich, für welche auch Aktivitäten stattgefunden haben. Das Bundesamt für Sport BASPO ist sich durchaus bewusst, dass die Vorgaben betreffend Subventionierung einschränkend wirken. Zudem ist unbekannt, wie lange die Einschränkungen noch gelten oder nachwirken werden. Daher ist auch eine Analyse in Auftrag gegeben worden, ob allenfalls der J+S Kredit anteilsmässig verteilt werden könnte. Dazu wäre aber eine Rechtsänderung notwendig. Generell werden die finanziellen Herausforderungen für alle Organisationen im Sport anspruchsvoll in den kommenden Jahren. Das werden Vereine, Verbände und Sportveranstalter zu spüren bekommen, allenfalls auch die Athletinnen und Athleten, welche von der Sporthilfe unterstützt sind. 

Die FISA hat am letzten Samstag bekanntgegeben, dass Ersatztermine für die abgesagten und in den Herbst verschobenen Europameisterschaften der Elite und Junioren gefunden wurden. Was hat die Mitteilung bewirkt?

Ich war sehr froh, dass es in dieser anspruchsvollen Zeit gelungen ist, Ersatztermine (Junioren-EM in Belgrad am 26./27. September und Elite-EM in Poznan vom 9.-11. Oktober 2020) zu finden. Für die U23-EM vom 5./6. September 2020 in Duisburg laufen die Vorbereitungen ebenfalls planmässig weiter. Das gibt wieder eine Wettkampfperspektive und hoffentlich allen Athletinnen und Athleten einen Motivationsschub, nachdem vor den Ostertagen alle World Rowing Events 2020 abgesagt wurden. Die Durchführung der jeweiligen Europameisterschaften bleibt aber unter Vorbehalt und für alle drei Events wurden Termine benannt, bis zu welchen ein definitiver Durchführungsentscheid gefällt wird. Die Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Europa generell, die Vorgaben der Regierungen für die Veranstalter in den drei Austragungsländern, die Trainings- und Selektionsmöglichkeiten für die Nationalteams in den Verbänden sowie die Möglichkeiten überhaupt in Europa zu reisen, werden entscheiden, ob es in diesem Herbst kontinentale Wettkämpfe geben kann oder nicht.  

In einzelnen Ländern, die schon Lockerungen durchgeführt haben, sind auch bereits wieder sportartspezifische Trainings, auch teilweise Rudertrainings, gestattet. Führt das nicht zu Wettbewerbsverzerrungen?

Das ist so und führt natürlich auch zu einem gewissen Druck und zu Ungeduld. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es auch Nachbarländer der Schweiz gibt, welche ihre Ausgangssperren eben erst verlängert haben. Ein Vergleich mit anderen Ländern ist in dieser Situation nicht hilfreich und führt zu nichts, ausser dass man sich selber damit stresst. Wir sind in der Schweiz und wenn wir nun eine gute Exit-Strategie Sport erarbeiten können, dann werden wir auch im Schweizer Rudersport zeitnah erste konkrete Massnahmen umsetzen können.  

20.04.2020 / Das Interview führte Jolanda van de Graaf